Das war: Sterne in der Finsternis

Sterne in der Finsternis

Sie starren mich an, sie zeigen auf mich, sie sind ohne Stern, der Stern bin ich.

(Auerbacher, 1990)

In Kooperation mit der Kompositions-AG und ausführenden Musikerinnen und Musiker des Clara-Schuhmann-Gymnasiums präsentierte die Theater-AG der Oberstufe des Max-Planck-Gymnasiums eine eindrucksvolle musikalisch-szenische Inszenierung von Inge Auerbachers Autobiografie Ich bin ein Stern.

Anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2022, an dem auch Inge Auerbacher eine Rede im Deutschen Bundestag hielt, entschied sich die Oberstufen-Theater-AG unter Leitung von Aïsha Hellberg für ein Theaterprojekt zu den Erinnerungen von Inge Auerbacher an die Zeit des Nationalsozialismus. Inge Auerbacher wurde 1934, als letztes jüdisches Kind in Kippenheim, geboren. Im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenpolitik erlebte sie die Verfolgung und Diskriminierung der deutschen Jüdinnen und Juden. 1942 wurde sie mit ihren Eltern in das KZ Theresienstadt deportiert, welches sie nach drei Jahren im Alter von zehn Jahren überlebte.

Die Schülerinnen und Schülern setzten sich für die Inszenierung dieser Erlebnisse intensiv mit den in ihrer autobiographischen Erzählung geschilderten Erlebnissen und Gedichten in Ich bin ein Stern auseinander und entwickelten daraus gemeinsam szenische Interpretationen. So wurden nach individueller Lektüre des Werkes, welches dankenswerterweise vom Förderverein der ehemaligen Synagoge in Kippenheim gestiftet wurde, von den Schülerinnen und Schülern prägende Zitate und Schilderungen gesammelt und in Standbildern festgehalten. Aus diesen entstanden unter Leitung von Aïsha Hellberg sukzessiv zusammenhängende Szenen, die die Geschichte von Inge Auerbacher einprägsam nacherzählen. Die Kompositions-AG übertrug, verstärkte und variierte dabei unter der Leitung von Christian Wenzel diese Bilder durch eigene Kompositionen mithilfe von Streichern, Bläsern, Klavier, Schlagzeug sowie zum Teil hebräischen Gesang in Musik. Der Stern als verbindendes Element kehrte sowohl in der musikalischen Begleitung als auch in der bildlichen Inszenierung immer wieder. Neben dem Symbol der Diskriminierung durch die Nationalsozialisten wurde er dabei in Gedenken an die Opfer des Holocausts, die „nun Sterne der Nacht sind“ zu einem tröstenden und versöhnenden Bild der Erinnerung. In gemeinsamer Kooperation aller Beteiligten ergab sich nach einem kontinuierlichen und intensiven Austausch sowie einem halben Jahr Proben ein stimmiges Bild, wie die eindrucksvolle Autografie Inge Auerbachers würdevoll umgesetzt werden kann. Dabei war besonders die Bestärkung des Vorhabens durch Inge Auerbacher aus der Ferne für die Schülerinnen und Schüler von großer Bedeutung, welche durch die pandemische Situation mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert waren. Trotzt aller Widrigkeiten mündeten die zahlreichen Arbeitsstunden letztendlich in je einer Aufführung am Max-Planck sowie Clara-Schumann-Gymnasium und abschließend in der ehemaligen Synagoge Kippenheim, zu der auch Inge Auerbacher kam. Vor allem das finale Zusammenspiel in der Kulisse der ehemaligen Synagoge stellte dabei die Erinnerungen Inge Auerbachers erschütternd und beeindruckend zugleich dar. Die Synagoge in Kippenheim wurde nämlich 1938 wie viele andere Synagogen und jüdische Gebäude in der Reichspogromnacht entweiht, von der auch Inge Auerbacher einprägsam in ihrer Autobiografie berichtet.

Die musikalisch-szenische Inszenierung zeichnete sich durch eine außerordentliche Symbiose von Musik, Schauspiel, Licht und Kulisse aus. Besonders hervorzuheben ist dabei die Darstellung einer tapferen, hoffnungsvollen und zuversichtlichen Inge mit ihrer Puppe Marlene, gespielt von Hanna Metzger, trotz der unvorstellbaren zunehmenden psychischen und physischen Gewalt gegen sie und ihre Familie im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenpolitik, darunter Stigmatisierung, Verfolgung, Deportationen und der Tod sowie die Ermordung von Familienangehörigen. Im Zentrum der Inszenierung standen neben Inge Auerbacher (Hanna Metzger), die Eltern Berthold Auerbacher (Ben Schüssele) und Regina Auerbacher (Doreen Himmelsbach) sowie die Großeltern Betty Lauchheimer (Felicitas Fuchsentaler) und Max Lauchheimer (Felix Haag). An dieser Stelle sei auf die insgesamt herausragende schauspielerische Leistung dieser sowie der restlichen Darstellerinnen und Darsteller verwiesen, von denen die überwiegende Mehrzahl zum ersten Mal an einem Theaterstück der Theater-AG der Oberstufe mitwirkte. WährendSaule Mikuckyte, Isolde Sauer, Elin Mamat, Madita Bernack, Sara Burgmeier und Hala Zaghloul als Bewegungschor geschilderte Gefühlslagen und Situationen spiegelten, agierten Hadi Sayed-Ahmad, Mona Borchert, Louisa Metzger, Gabriela Shamon und Rahel Roser als Sprechchor auf der Empore, erläuterten zu Beginn den historischen Kontext und ließen gegen Ende die erbarmungslose Behördensprache der Nationalsozialisten auf die Bühne wie die Zuschauerinnen und Zuschauer einprasseln.

Umrahmt wurde das Stück zu Beginn und Ende durch das von den Schauspielerinnen und Schauspielern gesungene Lied Weißt du wie viel Sternlein stehen, bei einer fast vollständig dunklen, scheinbar nur von schemenhaften Sternen beleuchteten Umgebung. Bereits der Beginn in dieser eindrucksvollen Kulisse ließ die Zuschauerinnen und Zuschauer, die durch die Inszenierung ein zum Handeln unfähiger Teil des Geschehens wurden, den Atem anhalten. Ehrfürchtige Stille erfüllte den Raum. Die dissonanten, zunehmend bedrohlicheren Töne sowie melancholischen Gesänge untermalten dabei das Gefühl einer anschwellenden Bedrängnis und Ausweglosigkeit. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die, die Zuschauerinnen und Zuschauer umkreisenden und auf der Empore der ehemaligen Synagoge überragenden, in schwarz gehüllten und mit Taschenlampen angestrahlten namenslosen Gestalten, welche immer wieder neue Gesetze und Erlasse zur Diskriminierung und Verfolgung der deutschen Jüdinnen und Juden flüsterten oder lautstark im Chor verkündeten. Besonders eindringlich war in diesem Kontext auch die dargestellte Zerstörung der Synagoge, die von klirrenden Geräuschen, aggressiven Tönen und Gesten sowie grell flackernden Lichtern begleitet wurde. Weitere beeindruckende Szenen waren neben den Monologen von Inge, der des Vaters sowie der Dialog zwischen ihrer Mutter und Großmutter über die Zustände ihrer deportierten Ehemänner, auch der Monolog und Tod des Großvaters. Insgesamt wurde das Zerreißen einer einst glücklichen und normalen Familie wirkungsvoll dargestellt, was sich auch in der audio-visuell inszenierten Deportation der Familie und der Zeit im Konzentrationslager Theresienstadt widerspiegelte. Bemerkenswert hierbei war auch, die weiterhin vorhandene Zuversicht Inges und der Versuch einer Kindheit zwischen all dem Leid und Gewalt. Dabei wurden während der gesamten Inszenierung zusätzlich immer wieder historische Quellen, Bilder oder Hintergrundinformationen an die Wand projiziert, darunter auch die Erinnerung an Inges später ermordete Freundin Ruth. Das Stück gipfelte in der Befreiung der wenigen Überlebenden des Konzentrationslagers Theresienstadts durch die Rote Armee 1945, darunter Inge Auerbacher. Das Schauspiel endete, wie es begann: Dunkel, jedoch mit einem leichten Lichtschimmer und dem Lied Weißt du wieviel Sternlein stehen, deren im Lied besungene „große, große Zahl“ mit der Einblendung der 6 000 000 ermordeten Jüdinnen und Juden parallelisiert wurde. Dies griff abschließend erneut die doppelte Symbolik des Sterns auf und mahnte die Erinnerung dieser unvorstellbaren Geschehnisse.

Auch wenn nur eine begrenzte Personenzahl der szenisch-musikalischen Darbietung in Präsenz bewohnen konnte, bietet der filmische Mitschnitt dank Alexander Weigand allen Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit, an dieser außerordentlichen Darbietung teilzuhaben. Des Weiteren gilt dem Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim e. V. sowie dem Inlandsprojekt KIWI von Care Deutschland e.V. sowie den Fördervereinen der beiden Synagogen Dank für ihre Unterstützung.

Insgesamt kann allen Beteiligten unter der musikalischen Leitung von Christian Wenzel und besonders der szenischen unter Aïsha Hellberg, die mit diesem Debut in die Fußstapfen von Andrea Welz tritt, ein großer Applaus und Anerkennung für diese großartige und mutige künstlerische Inszenierung entgegengebracht werden.

Nora Mussler